“Sicherheitsstandards bei erlebnispädagogischen Kletteraktionen”,Klassenfahrten Magazin 2004

Verantwortung für Sicherheit

Erlebnispädagogische Kletteraktionen unterscheiden sich von rein sportlichen Kletterkursen grundsätzlich durch die Zielsetzung der Veranstaltung, sowie durch das Maß an Haftung durch den Veranstalter (s. Artikel Klassenfahrtenmagazin 1/2005). Das Ziel eines Kletterkurses ist das Erlernen der Fähigkeit den Klettersport eigenverantwortlich ausüben zu können Um dieses Ziel zu erreichen ist der betreffende Ausbilder gezwungen die Teilnehmer schrittweise und gemessen an deren Wissenszunahme den Klettersport selbständig ausführen zu lassen. Am Ende eines solchen Kurses sollten die Teilnehmer also im Stande sein alleine Klettern zu können.

Bei erlebnispädagogischen Veranstaltung steht die pädagogische Nutzung des Kletterns im Vordergrund. Das Klettern dient als Medium um die Teilnehmer an bestimmte Ziele heranzuführen wie z.B. die Übernahme von Verantwortung für den Kletterpartner. Das Erlernen des Sportes ist zweitrangig. In diesem Falle liegt die Verantwortung für die Sicherheit der Teilnehmer größtenteils in der Verantwortung der Veranstalter. Um bei solchen Veranstaltungen die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten haben sich in der Erlebnispädagogik sehr hohe Sicherheitsstandards durchgesetzt.

Überblick Sicherheitsstandards

Im Folgenden werden die grundlegende Sicherheitsstandards bei erlebnispädagogischen Kletteraktionen und -veranstaltungen im Ansatz erläutert, um einen Überblick über diese zu vermitteln:

Zero Accident

Der Begriff Zero Accident besagt, dass mit dem subjektiv wahrgenommenen Risiko gearbeitet wird, wobei die objektive Gefährdung gegen Null gehen muss. Bei der Auswahl der Aktionen sollte dieses Prinzip die Auswahl wesentlich beeinflussen.

Aus der Forderung des Zero-Accident-Prinzips ergibt sich die Frage nach der Konstruktionssicherheit.

Konstruktionssicherheit

Wie es der Name schon sagt beinhaltet die Konstruktionssicherheit den sicheren Auf- und Abbau der Anlagen. Der Betreiber muss wissen welche Sicherungssysteme wirkungsvoll sind. Diese Forderung bezieht sich nicht nur auf eine sinnvolle Durchführung, sondern ebenso auf Interventionsvorkehrungen für den Krisenfall. Zur Konstruktionssicherheit zählt auch das Wissen um die korrekte Handhabung der Materialien. So müssen z.B. alle Teilnehmer einen Hüft- und Brustgurt sowie einen Steinschlaghelm tragen.

Ebenso müssen die Materialien den Normen der Europäischen Gemeinschaft (CE) und der International Mountaineering and Climbing Federation (UIAA) entsprechen, sowie ordnungsgemäß gelagert und regelmäßig geprüft werden.

Um die Konstruktionssicherheit zu gewährleisten müssen die Sicherheitssysteme redundant aufgebaut werden (s.u.).

Ebenso muss der Gefahr der falschen Bedienung Rechnung getragen werden, weshalb es sich empfiehlt die Kletterstellen mit zwei Sichernden zu besetzen. Trotz dieser strengen Sicherheitsmaßnahmen können immer noch Gefährdungen durch eine unsachgemäße Bedienung auftreten.

Aus diesem Grund ist der Betreuerschlüssel so anzusetzen das bei einer potentiellen Gefährdung der Teilnehmer jederzeit eingegriffen werden kann. Aus der Erfahrung kann dies nur hundertprozentig gewährleistet werden, wenn für jede Seilstelle ein beaufsichtigender Trainer vorhanden ist.

Redundanz

Das Prinzip der Redundanz besagt, das sämtliche sicherheitsrelevanten Systeme in doppelter Ausführung vorkommen müssen. Fällt eines aus so gewährleistet das Andere den sicheren Betrieb. Die Forderung nach redundanten Aufbauten kann nur gewährleistet werden, wenn z.B. alle relevanten Teile doppelt vorhanden sind. Dies gilt insbesondere für alle Teile die sich öffnen lassen bzw. Gefahrenpotential in sich tragen wie z.B. Karabiner, Gurte, Knoten, Umlenkungen.

Um diese Standards zu gewährleisten ist die Kontrolle des korrekten Aufbaus von Nöten. Kontrolliert werden die Aufbauten durch das Einhalten des Vier-Augen-Prinzips.

Vier- Augen-Prinzip

Dieses Prinzip leitet sich aus dem Bergsport ab. Alle sicherheitsrelevanten Teile werden hierbei vom Seilpartner auf Fehler überprüft. In der Erlebnispädagogik wird dieses Prinzip übernommen. Alle Aufbauten sollen von einer 2 Person (Trainer) kontrolliert werden um Fehler auszuschließen.

Rahmenbedingungen

Zahllose Rahmenbedingungen sind für den Verlauf des Prozesses entscheidend. Diese beeinflussen sich mit der Gruppenkonstellation wechselseitig.

Folgende Punkte müssen berücksichtigt werden:

  • Äußere Faktoren (z.B. Wetter, Temperatur, Ort, Boden)
  • Gruppe (Größe, Geschlechterverteilung, Umgang, Konflikte, Kommunikation, Gruppenziele, Gruppendynamik)
  • Einzelpersonen (Alter, Vorerfahrung, Gesundheit, Konzentration, Ziele, Bedürfnisse)

Aufgrund der Vielzahl der Faktoren und der unmöglichen Vorhersehbarkeit ist eine langfristige und umfassende Planung sinnvoll. Die Trainer sollten im Vorfeld so viele Informationen über die Rahmenbedingungen einholen wie es Ihnen möglich ist.

Hierzu gehören z.B. das Führen von Vorgesprächen, das Einholen des Wetterberichtes und eine Ortsbegehung. Hiernach sind Vorkehrungen zu treffen um die Teilnehmer vor Gefährdungen wie z.B. Witterungseinflüsse, Stürze, Steinschlag, etc. zu schützen.

Von immenser Wichtigkeit bei der Reduktion der gefährdenden Faktoren ist das Sicherheitsbewusstsein des durchführenden Trainers.

Sicherheitsbewusstsein: Qualifikation Trainer und Mitarbeiter

Das Sicherheitsbewusstsein des durchführenden Trainers hängt im Wesentlichen von dessen Ausbildungsstand und seiner Erfahrung ab. Gerade die Schulung der Mitarbeiter ist entscheidend für die Sicherheit einer Veranstaltung. In dieser Ausbildung sollten alle sicherheitsgewährleistenden Verhaltensanweisung sowie Evakuierungsmaßnahmen enthalten sein. Idealerweise verfügt der durchführende Trainer über die Fachübungsleiterqualifikation „Sportklettern“ und/oder über eine auf die Aktivitäten zugeschnittene vergleichbare Ausbildung. Die durchführende Person sollte z.B. in Bezug auf die potentiellen Gefahren entsprechenden Einweisungen geben können und eine umfassende Notfallausrüstung wie Erste Hilfe Kasten, Handy, Biwacksack etc. mitführen und kompetent handeln können.

Sicherheitsmanagement und -standards in der Ausbildung

Die Ausbildungsinhalte sollten in einem Sicherheitshandbuch festgehalten sein.

Sicherheitshandbuch

Ein weiterer Sicherheit gewährender Faktor ist das Vorhandensein eines Sicherheitshandbuches in dem alle Aufbauten incl. Evakuierungspläne aufgeführt sind. Ebenso sollte sich in diesem Handbuch die genaue Anleitung zur Durchführung und Nachbereitung der entsprechenden Aktionen befinden. Dieses Handbuch sollte für interessierte Teilnehmer einsichtig sein.

Psychische Sicherheit

In einem professionellen Sicherheitsmanagement ist die psychische Sicherheit von gleicher Wichtigkeit wie die physischen Sicherheit. Diese ist natürlich schwierig zu beurteilen und hängt im wesentlichen von den Fähigkeiten des Trainers ab. Je sensibler dieser für die Gruppe ist und je mehr er über die Gruppe weiss desto besser kann er diese betreuen.

Um die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten sollten folgenden Regeln in einem kurzen Vorgespräch mit allen Teilnehmern vereinbart werden:

– Stopp-Regel (Bei einer Störung wird „Stopp“ gerufen und die Situation wird so lange eingefroren bis die Ursache behoben wurde.)

– Freiwilligkeit (Niemand wird zu einer Aktion gezwungen.)

– Vier-Augen-Prinzip (Alle sicherheitsrelevanten Systeme werden von zwei Menschen überprüft. Gurte müssen z.B. unmittelbar vor der Aktion vom Teilnehmer und Trainer geprüft werden.)

Forderung

Diese Sicherheitsstandards sollten für Lehrer transparent sein, damit diese sich von der Seriosität des Angebotes überzeugen können um die versicherungsrechtliche Verantwortung auch an diesen abgeben zu können (vgl. hierzu Haftungsfrage bei Kletteraktionen, In: Klassenfahrtenmagazin1/2005).

Für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik verweise ich auf die Fachverbände die sich inhaltlich mit der Thematik beschäftigen sowie die aktuelle erlebnispädagogische Literatur.

Für Deutschland sind z.B. folgende Organisationen zu nennen:

European Ropes Course Association (ERCA)

Deutscher Alpenverein (DAV)

Literaturverzeichnis

Gruber, Michael Wolf Ronny: Spannung und Sicherheit, Sicherheit beim Spannen von horizontalen Seilen, Augsburg, Ziel-Verlag 2003.

Kraus Lydia, Schwiersch Martin: Die Sprache der Berge, Handbuch der alpinen Erlebnispädagogik, Alling, Sandmann,1996.

Nüßer, Dirk: Haftungsfrage bei Kletteraktionen, In: Klassenfahrtenmagazin1/2005

Perschke Hubert, Peter Flosdorf u.a.: Sicherheitsstandards in der Erlebnispädagogik, Praxishandbuch für Einrichtungen und Dienste in der Erziehungshilfe, Juventa Verlag Weinheim und München, 2003.

Siebert, Walter, Gatt Stefan: Zero Accident, Qualitätsstandards für erlebnisorientierte Wirtschaftstrainings, Ziel-Verlag Augsburg 2003.

Winter Stefan: Sportklettern mit Kindern und Jugendlichen, Training für Freizeit, Schule und Verein, BLV, Verlagsgesellschaft mbH München Wien Zürich 2004

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